Der Alltag in Camp Ritchie
Auszüge aus dem Film
Dies ist die Geschichte einer Gruppe junger Männer im Zweiten Weltkrieg - viele von ihnen waren jüdisch-deutsche Flüchtlinge. Sie waren den Nazis entkommen und hatten in Amerika eine neue Heimat gefunden. Sie kannten die Sprache und die Psychologie des Feindes besser als jeder andere. Die Vernichtung des Faschismus war ihr Ziel. In Camp Ritchie, Maryland, bereiteten sie sich auf ihre Art von Krieg vor.
Rudy Michaels: Als Ausländer wurde ich im April 1941 eingezogen. Einige Monate später, schon Unteroffizier, war ich plötzlich ein “feindlicher Ausländer”.
Hans Spear: Als “feindlichem Ausländer” vertrauten sie mir keine Waffe an. So kam ich zu den Sanitätern.
Nichts gegen die Sanitäter, sie sind die Mutigsten. Unbewaffnet helfen sie einem verwundeten Kameraden. Ich wollte kämpfen, wollte Nazis töten. Nicht mit einer Spritze.
Nach meiner Grundausbildung wurde ich zu meinem Kompaniechef gerufen und er sagte: „Soldat Spear, packen Sie Ihre Sachen, Sie werden verlegt.“ Ich fragte wohin und er sagte: „Geheime Information, das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Ich rief meine Frau an und sagte: „Ich werde verlegt, keine Ahnung wohin.“ Am nächsten Tag war ich in Camp Ritchie, Maryland Trainingszentrum für Aufklärung und Propaganda.
Victor Brombert: Am Eingang stand groß: Trainingszentrum für Aufklärung und Propaganda. Schon damals fand ich es komisch, dass sich der militärische Geheimdienst so lauthals anpries normalerweise versucht er ja das Gegenteil. Military Intelligence Training Centre MITC, das, glaube ich, stand am Tor. Nicht wie bei Dante: „Lasst alle Hoffnung fahren“.
Werner Angress: Jemand machte daraus Militärisches Institut für totales Durcheinander - MITC. Und genau das war es. Es war eine seltsame Mischung von Leuten, viele davon waren äußerst angenehm.
Camp Ritchie war von der U.S. Nationalgarde gegründet worden. 1942 übernahm die Armee das Lager und ersetzte die Zelte durch feste Gebäude. Die abgeschiedene Lage war ideal für eine Schule für militärische Aufklärung und Propaganda.
Im Kriegsministerium hatte man erkannt, dass „feindliche Ausländer“ in diesem Krieg nützlich sein konnten. So wurden Männer aus fast allen europäischen Ländern hierher verlegt.
Fred Howard: Als ich in die Armee kam, war ich 21 - praktisch ein Kind. Ich war clever, aber doch noch ein Kind. Für uns, die Ritchie Boys aus Europa, war es wie eine zweite Geburt.
Wir konnten unsere Vergangenheit abstreifen, kämpfen gegen das, was wir verabscheuten und etwas für dieses wunderbare Land tun, das mir erlaubte zu leben.
Victor Brombert: Um mich herum, in dieser typisch amerikanischen Hinterwäldlergegend, hörte ich nur fremde Sprachen und Akzente.
Hans Spear: Sie erkannten, dass wir wertvoller waren als andere Soldaten. Das heißt nicht, dass mein Leben mehr wert ist. Nur: man kann jemandem in sechs Monaten den Umgang mit einer Waffe beibringen, aber nicht eine fremde Sprache --- um Gefangene zu verhören.
Rudy Michaels: Im Vergleich zu meinen vorherigen Einheiten, war das ein Zirkus aber ein guter Zirkus - lustig...
Es gab alle möglichen Geschichten und Gerüchte. Zum Beispiel, dass man nur dann vom Obergefreiten zum Unteroffizier befördert wurde, wenn man einen deutschen Akzent hatte.
Rudy Michaels: Früher oder später kannte jeder jeden - wie in einer Familie. An einem Montag, nach einem freien Wochenende, komme ich in meine Baracke, stoße an ein Bett und unter der Decke schaut auf einmal ein Kopf hervor: Obergefreiter Joseph Bromberg, ein Jugendfreund aus Leipzig. Er war viel früher ausgewandert. Und hier treffen wir uns - das gab’s in Ritchie immer wieder.
Victor Brombert: Überall waren kleine Gruppen, die sich über Politik, den neuesten Klatsch und Europa unterhielten. Ich hörte interessante Gespräche über Philosophie und Musik. Die meisten Leute sahen allerdings recht unmilitärisch aus, sie hatten kleine Bäuche. Sie besaßen eigentlich keinen militärischen Instinkt. Nein, sie waren keine Kämpfer.
Vorstellungskraft und Einfallsreichtum spielten eine große Rolle in ihrer Art Krieg.
Deutschland hatte sie vertrieben, nun wurde Ritchie der Zufluchtsort für einige der kreativsten Köpfe dieser Generation.
Si Lewen: Wir waren Intellektuelle, Außenseiter - zumindest was die Disziplin betraf.
Ich wollte den Faschismus bekämpfen, Hitler musste besiegt werden. Aber ein richtig harter Soldat war ich sicher nicht. Nein, sicher nicht.
Guy Stern: Der Unterricht in Ritchie war straffer als je in der Schule oder Universität. Ein hochintensiver Kurs in den verschiedensten Arbeitsmethoden militärischer Aufklärung. Angefangen beim Morsen und der Interpretation von Luftaufnahmen bis hin zum sogenannten German Order of Battle, der Aufschlüsselung aller deutschen Divisionen, auf die wir treffen konnten. All das mussten wir auswändig lernen.
Victor Brombert: Wir wurden nachts ins Gelände geschickt und mussten unseren Weg finden ohne Kompass oder ohne Karte. Einige Übungen waren ziemlich anstrengend, aber meistens war der Unterricht theoretischer Natur. Es gab allerdings auch Nahkampftraining: Wie man einen Menschen schnell tötet, sich von hinten anschleicht. Es ging um Körper, Technik und Sprache und manchmal war es einfach komisch.
Eine der vielen Merkwürdigkeiten in Ritchie war ein Team aus US-Soldaten in deutschen Uniformen - Sparringspartner für die Ritchie Boys. Allerdings passten die Uniformen nicht immer richtig. Die falschen Deutschen erschreckten die Bauern in Maryland. Sie dachten, die Invasion hätte bereits stattgefunden. Doch diese deutschen Panzer waren aus Pappe.
Guy Stern: Deutsche Kriegsgefangene aus dem Afrikacorps kamen nach Camp Ritchie und wurden unsere Versuchskaninchen.
Victor Brombert: Die Verhöre waren gespielt, aber manchmal wurden sie ziemlich echt und aggressiv.
Fred Howard: Und dann verhörten wir uns gegenseitig -- Zuerst schrieen wir uns nur an, bis wir merkten, dass das nicht funktionierte, sondern ziemlich dumm war. |
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